Ines SpenthofWarum wir wenig mögen.
Thomas HeydenEröffnungsrede zur Ausstellung Zeichen & Wunder
Fiona McGouvernRäume verschachteln, verschränken und schichten
Anja BauerRaumzeichnungen
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ÜBER ALLE STOCKWERKE HINWEG
Inspiriert von der Mülheimer Innenstadt hat Caroline Bayer im Treppenhaus des Kunstmuseums mit ihrer Klebetechnik die Wandzeichnung TZ 1-12 (2012) realisiert: An der Rückseite des Aufzugsschachtes erstreckt sich über drei Etagen das Fassadenmuster der imposanten Hochhäuser am Einkaufszentrum FORUM. Die regelmäßige Abfolge von schwarzen und weißen Streifen gibt reduziert die spiegelnden Fensterfronten und die hellen Balkonumrandungen wieder. Die Künstlerin spielt hierbei nicht nur mit dem Wechsel zwischen Außen und Innen, sondern auch mit dem Charakter der Zeichnung selbst: Je nach Betrachterstandort erzeugen perspektivisch fluchtende Linien eine Illusion von Räumlichkeit. Wie in einem Vexierbild springen angedeutete Gebäudekanten vor, dann wieder zurück. Obgleich sich die Breite der Streifen und die Abstände zueinander über die gesamten Strecke nicht ändern, kommt es zu weiteren optischen Effekten: Verdichtungen und Verzerrungen, die den Anschein erwecken, man habe den überdimensionalen Ausschnitt eines OP Art-Gemäldes vor Augen, wie aus einem Streifenbild der britischen Malerin Bridget Riley. Zudem hat die all over-Wandarbeit etwas Zeichenhaftes, so dass unweigerlich Assoziationen mit schwarz-weißen Verkehrsbaken aufkommen. In den ersten beiden Etagen werden Caroline Bayers Lineaturen als abstraktes Muster, als Ornament auf der Fläche wahrgenommen, das lediglich durch reale Architekturelemente wie die Aufzugstür im Untergeschoss oder den durchgängigen Handlauf unterbrochen wird. Erst im obersten Stockwerk wird klar, dass es sich bei dem Motiv um die hintereinander gestaffelten Fronten der 70 Meter hohen Mülheimer Hochhausbauten handelt. Blickt man auf der Zwischenebene aus dem Fenster, so wird man direkt mit dem architektonischen Original konfrontiert, dessen Abbild sich – auf die wesentlichen Strukturen vereinfacht – auf der Wandfläche widerspiegelt.
AUS DEM GRUNDRISS GELÖST
Das FORUM am Hans-Böckler-Platz wurde 1974 nach den Entwürfen des Architekten Hanns-Henning Lautz fertig gestellt. Die Ladenpassage mit den vier markanten Wohntürmen und großzügig angelegten Parkdecks zeugt von dem strukturellen Neubeginn Mülheims: ein Expandieren in die Höhe und die Verdichtung in der Fläche, mit dem Ziel, die Kernstadt zu einem lebendigen Ort zu machen und verschiedene, funktionelle Bereiche miteinander zu verzahnen. Anhand von Katasterplänen hat Caroline Bayer aus den Grundrissformen des City Centers – wie der Gebäudekomplex ursprünglich genannt wurde – eine Installation mit modulartigen Objekten entwickelt. Durch gezielte Setzungen und Staffelungen im Ausstellungsraum ergeben sich aus den vielfältigen Formen neue Konstrukte: sowohl einfache geometrische Elemente wie Quader und Rechtecke als auch komplexe, Tetris-ähnliche Figurationen mit vielen Ecken und Winkeln – gelegt, gestellt, parallel und orthogonal positioniert, zu Gruppen verdichtet oder solitär. Die architektonischen Körper heben sich kontrastreich vom Boden des Ausstellungsraumes ab und wirken wie helle Zeichen auf dunklem Grund. In Frontalansicht korrespondieren sie mit den weißen Verstrebungen der Deckenkonstruktion. Aus dem ursprünglichen Verbund gelöst, entwickeln die einzelnen Bausteine einen enormen Eigenwert und bilden in der Gänze doch wiederum eine Topografie, die auf den urbanen Raum mit seinen Ballungszentren, Untereinheiten und der charakteristischen Skyline verweist. Diese imaginäre Stadtlandschaft kann von dem Betrachter durchschritten werden und ermöglicht ein anderes Sehen und Erleben der räumlichen Situation, deren Atmosphäre durch Lichtstimmung und Schattenwürfe auf Wand und Boden im tageszeitlichen Wechsel zusätzlich variiert.
Mit ihrer Installation Komplex (2012), zu der auch eine gleichnamige druckgrafische Edition entstanden ist, dringt Caroline Bayer weiter in den bildhauerischen Bereich vor und übersetzt maßstabsgerecht Raumzeichen und Architekturfragmente ins Dreidimensionale.
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