Ines SpenthofWarum wir wenig mögen.
Thomas HeydenEröffnungsrede zur Ausstellung Zeichen & Wunder
Fiona McGouvernRäume verschachteln, verschränken und schichten
ZUR ZEICHNUNG BEI CAROLINE BAYER
Am Anfang steht in Caroline Bayers Arbeiten immer die Zeichnung. Zeichnung wird in herkömmlicher Weise mit einer Form des unmittelbaren Ausdrucks assoziiert. Sie gilt als „primary means of expression“, in dem die Hand der Künstler/in direkt durchschlägt. In Caroline Bayers Zeichnungen jedoch scheint das Gegenteil zuzutreffen: Hier treten an die Stelle der handgezogenen Linie der Einsatz von industriell hergestelltem Klebeband sowie Strukturen aus Holz, die meist geometrisch angelegte Raster bilden und frei im Raum aufgestellt werden. In ihrer strengen Reduzierung auf Schwarzweiß und Grautöne vermindert die Künstlerin zudem den Eigenausdruck der Farbe auf ein absolutes Minimum und kehrt dadurch die Formen und Strukturen als solche hervor. Zeichnung bei Caroline Bayer bedeutet daher Abstraktion und eine weitestgehende Entsubjektivierung des Produktionsverfahrens – und genau hierin liegt nun ihre künstlerische „Handschrift“.
Ausgehend von den spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Ausstellungsraumes sowie seines urbanen Umfeldes entwickelt die Künstlerin ihre Arbeiten stets vor Ort und bezogen auf den Kontext. In ihren frühen Arbeiten wie WZ 1-06 (2006) und WBZ 1-07 (2007) übertrug Caroline Bayer aufs Wesentliche reduzierte architektonische Formen und Fassadenfragmente aus dem städtischen Umfeld mit schwarzem Klebeband auf die Wände der Ausstellungsräume. Über diesen Transfer ergab sich nicht nur eine Verschränkung von Innen- und Außenraum, vielmehr entstanden – je nach Betrachterstandpunkt – auch perspektivisch angelegte Illusionsräume. Der architektonische Bezugspunkt im städtischen Raum war in Arbeiten wie Gegenüber (2009) für den Betrachter durch das Fenster des Ausstellungsraums leicht wiederzuerkennen, in anderen Ausstellungssituationen entzogen sich die Zeichnungen hingegen einem direkten Vergleich. Letzteres führte die Künstlerin konsequent mit ihrer WZ-Serie aus den Jahren 2008 und 2009 durch, bei der sie dieselbe Zeichnung eines Architekturfragmentes auf verschiedene Innenräume übertrug und auf diese Weise die Differenzen in den Überlagerungen und der Bedingtheit von gegebenem Ausstellungsraum und darübergelegter Zeichnung durchspielte.
Heute führt Caroline Bayers erster Gang bei der Vorbereitung einer Ausstellung in der Regel zum Katasteramt. Ausgehend von den dort gesammelten und archivierten Karten, auf denen akribisch genau Grundstücksgrenzen festgelegt, Nutzungsgrenzen erfasst und Gebäude eingemessen werden, entwickelt sie maßstabsgetreue Zeichnungen und Holzkonstrukte, über die sie die Aufteilung des städtischen Umfelds im doppelten Sinne des Wortes in den Raum der Kunst transferiert. Im Zuge ihrer umfassenden, in der Ausstellung Citygrid kulminierenden Auseinandersetzung mit den Strukturen und der Bebauung der Schweizer Planstadt La Chaux-de-Fonds, in der bezeichnenderweise auch der dort aufgewachsenen Le Corbusier seine ersten Häuser entwarf, vollzog Caroline Bayer den in Arbeiten wie Gegenüber bereits angedeuteten Schritt vom zweidimensionalen in den dreidimensionalen Raum. Das heißt, genaugenommen haftet den früheren, direkt auf Wand und Boden aufgetragenen Zeichnungen selbst bereits eine dreidimensionale Materialität an, die nun losgelöst von der Wand in den Raum tritt.
Mit o. T. (Planstadt) (2011), einer Art viergliedrigem Paravent, verwandelte sie den Grundriss der Reißbrettstadt in eine freistehende Gitterstruktur, die selbst wiederum als Raumteiler fungiert. Die amerikanische Kunsthistorikerin Rosalind Krauss kam in Bezug auf die Gitterstrukturen in modernistischen Gemälden zu folgender, auch für diesen Kontext relevant erscheinender Grundannahme: „[T]he grid announces, among other things, modern art’s will to silence, its hostility to literature, to narrative, to discourse. […] In the spatial sense, the grid states the autonomy of the realm of art. Flattened, geometricized, ordered, it is antinatural, antimimetic, antireal.“[1] So lässt sich auch von Caroline Bayers Gitterstrukturen behaupten, dass sie sich jeglichem Narrativ und Diskurs entziehen. Zugleich sind sie jedoch im Unterschied zu dem modernistischen Verfahren nicht rein abstrakt und kein Indikator ihrer künstlerischen Autonomie, sondern stets abstrahierte Form einer im Außenraum vorhandenen Struktur. Auch wenn die Zeichnungen durchaus über die Abstraktion selbst zeichenhaften Charakter gewinnen, so ist dieser Bezug zum Realen nie von der Hand zu weisen. Das wird neben den im Kontext von Citygrid entstandenen Arbeiten besonders an der auf quadratischem Papier angelegten Serie o. T. (2011) von 40 verästelten Zeichnungen aus schwarzem Klebeband deutlich, die jeweils mit einem roten Klebepunkt versehen sind. Sie basieren auf alltäglichen Wegbeschreibungen, die man sich in Japan auf kleine Zettel zeichnet, um sich gegenseitig den Weg zu erklären, da es dort kaum Straßennamen gibt. In ihrer von den Skizzen abstrahierten Form erscheinen die auf einen Zielpunkt ausgerichteten Wegstrecken wie fiktive Schriftzeichen.
In den jüngsten Arbeiten der Künstlerin ist eindeutig eine Tendenz zum Heraustreten der Zeichnung in den dreidimensionalen Raum und folglich ins stärker Objekthafte zu erkennen, wobei der reale Bezugspunkt zu einem spezifischen Ort etwas in den Hintergrund gerät. So können Arbeiten wie Komplex (2012) prinzipiell in verschiedenen Ausstellungskontexten gezeigt werden. Ausgehend von den Grundriss-Strukturen eines für die damalige Zeit als sehr fortschrittlich geltenden, multifunktionalen „City Centers“ aus den 1970er-Jahren in Mühlheim an der Ruhr, entwickelte Caroline Bayer hierfür ein Set aus weiß lackierten Modulen, die frei im Raum aufgestellt werden. Formal wirken diese Elemente durchaus autonom und erzeugen wie schon die Arbeit o. T. (Planstadt) zwangsläufig keine an die gegebenen räumlichen Strukturen und Standpunkte gebundenen Illusionsräume mehr. Und trotzdem handelt die Künstlerin auch hier in letzter Konsequenz ortsspezifisch, da keine weitere Präsentation an anderen Orten vorgesehen ist. Anders gesagt: nach Ende der Ausstellung werden auch sie vernichtet und Richard Serras bekanntes Diktum „To remove the work is to destroy it“[2] damit bereits von der Künstlerin selbst erfüllt. So unterliegen Caroline Bayers Zeichnungen im zwei- wie dreidimensionalen Raum stets einem klaren, ortsbezogenen Konzept, das von der ersten Idee über die Realisierung zur Präsentation konsequent verfolgt wird. An die Stelle des unmittelbaren Ausdrucks tritt somit ein stetig in Variationen wiederkehrendes Verfahren der produktiven Restriktion.
[1] Rosalind Krauss: „Grids“, in: October, Vol. 9, Summer 1979, S. 50-64, S. 50. [2] Richard Serra: „Letter to Donald Thalacker, January 1, 1985“, in: The Destruction of Tilted Arc: Documents, hg. von Clara Weyergraf-Serra und Martha Buskirk, Cambridge 1990, S. 38.
aus: Caroline Bayer, Making of, 2012