o.T. (Lichtkegel) | 2011 | Gemeinschaftsarbeit mit Walter Thaler | Ausstellungsansicht Kränzelhof, Bozen, Südtirol | Holz, Plastikfolie
Kathedrale im Keller
Der Meraner Künstler und Designer Walter Thaler und die Künstlerin Caroline Bayer aus Berlin bauen im alten Keller des Kränzelhofes einen Abdruck des Lichtes.
Rabenschwarz ist es im alten Weinkeller im Kränzelhof. Es riecht nach Moder und feuchtem Mauerwerk. Durch zwei Fenster fällt Licht herein, gebündelt wie die Strahlen, die sich in den Staubpartikeln eines Stadels materialisieren.
In der Mitte des Raumes stehen zwei verschobene Quader, schlicht zusammengebaut aus Stahlstangen und durchsichtiger Plastikfolie. Zunächst rätselt man herum, was die minimalistisch wirkenden Körper mit dem alten Weinkeller zu tun haben könnten, und ahnt doch gleichzeitig, dass die Fremdkörper strukturell und inhaltlich zwingend zu diesem Raum gehören. Die Antwort findet sich, wenn man den Raum genauer erkundet: Die schiefen Quader sind Abdrucke des Lichtes, das durch die beiden Kellerfenster fällt: formal skulpturale Objekte einerseits, Materialisierungen des Lichts andererseits.
Gegeneinander verschoben bilden sie zwei korrespondierende Segmente, deren gemeinsamer Ausgangspunkt die Wahrnehmung des Raumes ist. Sie sind abstrakt, wo es kaum noch etwas zu abstrahieren gibt, und konkret auf die Fenster bezogen. Es ist evident, dass es hier um das Wahrnehmen selbst geht.
Die Skulpturen sind geformtes Licht, eine Substanz, die den Raum nicht nur visuell erfüllt, sondern die körperlich erlebbar wird. Das mit Ingenieursmitteln nachgeformte Licht enthüllt nichts, es deckt sich selbst auf, es enthüllt nur sich selbst. Die überaus gelungene Arbeit stammt von dem Meraner Künstler und Designer Walter Thaler und der Berliner Künstlerin Caroline Bayer.
Während die ebenfalls beim ArtFestival Kränzelhof eingeladene Galerie Goethe2 und die Galerie Arte Boccanera Contemporanea aus Trient den Keller einfach als Ausstellungsraum benützten, motivierte Erwin Seppi von der Meraner ES contemporary art gallery die beiden, sich mit dem Raum auseinanderzusetzen.
Mehrere Tage vor Beginn des ArtFestivals Kränzelhof hielten sich die beiden im Keller auf, bis sie dessen prägende Konstante herausgefunden hatten. Entscheidendes Detail dabei ist, dass die Fenster nordseitig liegen, das Licht also konstant im gleichen Winkel einfällt. Die Wirkung bleibt 24 Stunden lang die gleiche, die einzige Veränderung kommt von der Lichtstärke. Man kommt nicht darum herum, bei diesen Arbeiten an die Räume und das Licht von gotischen Kathedralen zu denken, in denen der Lichtführung eine geradezu göttliche Rolle zukommt. Licht gilt in vielen Religionen als Erscheinung Gottes und des Universums. Mit dem Licht fängt das Bewusstsein an; das Innewerden des wahrnehmenden Aktes; in der Kunst ist es der Raumbildner schlechthin.
James Turrell will mit seinen Lichtinstallationen ermöglichen, das Wahrnehmen selbst, das „Sehen des Sehens" wahrzunehmen. Einer der spannendsten Aspekte dieser gemeinschaftlichen Arbeit tritt erst in einem dritten Moment ein. Die skulpturalen Licht-Attrappen sind nur ein Schritt in der künstlerischen Erkundung des Raumes. Ihnen folgt ein minutiöses fotografisches Belichtungsmanöver. Die Fotos transformieren diese nicht etwa nur als eine mechanische Abbildung, sondern stellen die Frage auf ihre Weise ganz neu. Das Verblüffende dabei ist, dass man auf den Fotografien die künstlerische Operation deutlicher erkennt als in der Wirklichkeit. Und nebenbei wirken sie wie eine filigrane Komposition von Paul Klee: Lichtpunkte, die sich in Bewegung gesetzt haben.
Text: Heinrich Schwazer
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