VERSETZT | 2011 | Holz, Tapete, C-Prints, Kompass | Ausstellungsansicht ES Gallerie, Meran, Südtirol, Italien
Caroline Bayer beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit urbanen, architektonischen und geografischen Versatzstücken, die ihr in ihrer Umgebung begegnen. Dabei interessiert sie sich weniger für Auffälliges, sondern widmet ihre Aufmerksamkeit den alltäglichen, zweckmäßigen Formen urbaner Landschaft. In Gebäudeansichten, Landkarten und Grundrissen entdeckt die Künstlerin Formen und Fundstücke, die sie sammelt und dokumentiert. Aus diesem Archiv speist Bayer ihre reduzierten Konstruktionen, die die Fundstücke in verschiedenen Medien in neue Sinnzusammenhänge bringen; aus ihren ursprünglichen Kontexten isoliert erhalten die Fundstücke einen zeichenhaften Charakter. Caroline Bayers Installationen und Zeichnungen treten in Dialog mit dem Ausstellungsort, kommentieren ihn und ergänzen ihn um neue Betrachtungsebenen.
Für die Ausstellung versetzt wird die Künstlerin sich mit der Architektur ihrer eigenen
Wohnung in Berlin auseinandersetzen und diese in Zusammenhang mit den Räumen der ES-Galerie in Meran setzen. Die Galerie befindet sich in einem Laubenhaus aus dem 14. Jahrhundert. Das einzige Fenster zum Hof wurde mit einer Wand verschlossen, sodass in den Raum inzwischen kein Tageslicht mehr dringt..
Hier wird Caroline Bayer eine dreidimensionale Raumzeichnung einfügen, die sich mit der vorgefundenen Situation auseinandersetzt. Die Hybride zwischen Konstruktion, Zeichnung und Skulptur thematisiert das Verhältnis zwischen
Ausstellungs- und Wohnraum. In zwei weiteren Räumen der Galerie wird die zentrale Installation in Form von kleineren Arbeiten thematisch ergänzt, die als assoziative Bausteine fungieren; Bayer thematisiert hier die Aussicht aus den im Hauptraum nachgebildeten Fenstern: den Blick auf das seit 2010 als riesige urbane Freifläche zugängliche Areal des stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof. Darüber hinaus ist versetzt eine thematische Fortsetzung der fast zeitgleich stattfindenden Ausstellung dislocation, die Caroline Bayer gemeinsam mit dem Düsseldorfer Künstler Thomas Musehold im Projektraum The Bank in Newcastle (England) bestreitet. Auch hier wird Bayer eine dreidimensionale Holzkonstruktion in den Raum einpassen.
Text: Michael Pohl
Jeder von uns verbindet gewisse Räume mit einem Gefühl von Magie. Vorerst wollen wir auch diese Räume - wo wir uns gerade befinden – also einmal nur als bloße architektonische Hülle betrachten. Das Zauberhafte an den sechs Wänden dieses Zimmers zum Beispiel – derer vier senkrecht und zwei waagrecht angeordnet - liegt in ihrem Verhältnis zueinander, in ihrer fehlenden Perfektion, in ihrem sonderbar stummen, gegenseitigen Wechselspiel, nicht zuletzt aber auch in ihrer Geschichte. Die architektonische Beschaffenheit dieser Galerie versperrt uns auch den Blick in den Außenraum. Kein Fenster ist vorhanden. Die einzige, einst existierende Ausschau wurde verschlossen. Man wollte Aufmerksamkeit für den Inhalt bewirken und jede Ablenkung meiden.
Wir konzentrieren uns daher auf die wenigen Objekte und Bilder, die wir in diesem leuchtenden Weiß um uns hier ausfindig machen können. Wir beobachten dabei aufmerksam wie die Künstlerin auf diesen bestehen Raum eingegangen ist: der Sequenz der drei Galerieräume folgend entdecken wir nach und nach Neues, legen aus, verstehen und begreifen.
Mir ging es vor einigen Tagen wahrscheinlich wie euch heute: ich durchleuchtete, stellte kleine Nachforschungen über das Umfeld der Künstlerin an, versuchte - ausgehend von ihren hinterlassenen Spuren -nach Interpretationen, Lösungen, Antworten. Ich hatte mir im Vorfeld ein einigermaßen definiertes Bild gemacht: Caroline Bayer besaß und besitzt offenbar die Fähigkeit, mit magischer Fertigkeit Räume, Situationen, Architekturstimmungen, Bilder und Visionen von einem Ort in einen anderen zu versetzen. Ich bin mir sicher - und ich tue das mit aller respektvollen Bescheidenheit - ihr Zauberhandwerk einigermaßen durchschaut zu haben: sie webt ein unsichtbares Netz um ihre Räume – so wie etwa im gegebenen Falle um ihre eigene Wohnung in Berlin - trennt dieses für die Erinnerung bestimmte Flechtwerk dann wieder auf und transferiert es an einen neuen, entlegenen Ort, indem sie dann am Zweitstandort in großen Umrissen das ursprünglich Gelebte und Erlebte wieder zusammenfügt und damit dem fremden Besucher ermöglicht, aus mehr oder weniger klaren Andeutungen resultierende Reflexe eben dieser ihrer Welt mitzuerleben.
Caroline Bayer bewirkt mit magischer Akribie einen synthetisch konzentrierten Raum-Daten-Transfer und ermöglicht so den partizipierten Einblick in ihre städtisch und außerstädtisch persönlich erlebten Landschaften und Räume. So habe ich auf meiner Suche nach den Hintergründen der Kunst Bayers auf einem Streifzug durch die digitalen Netzwerke tatsächlich ihre Straße, ihr Haus und die nähere Umgebung des großen Flughafenareals Tempelhof ausfindig machen können. Die Ausrichtung einer Fensterwand ihrer Wohnung gibt den Blick auf Berlins historischen Flughafen frei: bitte folgen sie dem Streifzug hinaus auf die Landebahnen - über die hufförmig angeordnete Wiesenfläche des Tempelhofs hinweg fliegend, das Plannetz der Großstadt Berlin durchschneidend und kreuzend. Reiben sie sich die Augen, gerade da sehen sie in einem verschwommen anmutenden Ausblick in die Stadtweiten hinaus: ein kleines Foto lehnt gewissermaßen auf Betrachtungshöhe an der Wand. Und hier - an dieser Wand wie ein kleiner Torhüter befestigt - können wir anhand dieses Kompasses die exakte Himmelsrichtung rekonstruieren, nach der die Wohnung der Künstlerin in Berlin ausgerichtet ist.
Doch Caroline Bayer geht es nicht bloß um die präzise, immer gleich ablaufende Versetzung von Räumen und synthetischen Raumgebilden allein: sie vermittelt uns auch wie man aus dem Zwang ausbrechen kann. Hinein in die Erinnerungs-Bilder-Welt von bereits erfahrenen Landschaften, wie wir zum Beispiel an einem kleinen Fotopaar mit aus der Luft fotografierten – wie Satellitenphotos anmutenden – Bildern im Eingangsbereich der Galerie entdecken können. Ein Fotoausschnitt erzählt uns dabei von einer tagesmarschlangen Straße auf der Insel Island.
Was ich also von meiner kurzen Erkundungsfahrt um und in die künstlerische Welt von Caroline Bayer mitbringen kann ist in der Substanz folgendes: die Fähigkeiten des Zerlegens, Versetzens und Ersetzens – des Ortes und seiner Aura - verbunden mit Leidenschaft zur Darstellung und Aufspürung von Architektur ist die Stärke dieser Ausstellung und der Künstlerin selbst: wenn es sein muss versetzt sie damit auch die Berge.
Benno Simma
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